Persönlich oder per Video?

Anhörungen während der Pandemie

Zu Beginn der Corona-Pandemie wurde lebhaft diskutiert, ob Anhörungen durch das Betreuungsgericht vor Ort erfolgen müssen oder auch als Video- oder Telefonkonferenz durchgeführt werden können. Inzwischen hat der BGH in mehreren Entscheidungen festgestellt, dass die Corona-Pandemie für sich alleine genommen keinen Verzicht auf eine persönliche Anhörung rechtfertigen kann.
15.04.2021
  • Kay Lütgens

Vielen Lesern wird es noch im Gedächtnis sein: Zu Beginn der Corona-Pandemie wurde lebhaft diskutiert, ob Anhörungen durch das Betreuungsgericht vor Ort erfolgen müssen oder ob zum Schutz der Beteiligten vorübergehend auf Anhörungen verzichtet werden kann bzw. ob diese auch per Telefon oder Videotelefonie durchgeführt werden können. Dieser Streit betrifft Fallkonstellationen, in denen es um erhebliche Eingriffe in die Grundrechte des Betroffenen geht und das Gesetz deshalb eine persönliche Anhörung vorschreibt, damit das Gericht sich einen persönlichen Eindruck von dem Betroffenen verschaffen kann, z.B. wenn es um die Einrichtung einer Betreuung oder eines Einwilligungsvorbehalts oder Unterbringungsmaßnahmen geht (§§ 278 Abs. 1, 319 Abs. 1 FamFG).

Inzwischen hat der BGH in mehreren Entscheidungen festgestellt, dass die Corona-Pandemie für sich alleine genommen keinen Verzicht auf eine persönliche Anhörung rechtfertigen kann. Nur wenn von einer Anhörung – gutachterlich belegt – konkrete Gefahren für den Betroffenen ausgehen würden, käme ein solcher Verzicht in Betracht. In einer seiner Entscheidungen zu dieser Problematik (Beschl. v. 14.10.2020, Az. XII ZB 235/20) führt der BGH u.a. aus:

(Es) „sind alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um die persönliche Anhörung unter Vermeidung entsprechender gesundheitlicher Folgen für den Betroffenen durchzuführen. Nur dieses Gesetzesverständnis wird der besonderen Bedeutung der persönlichen Anhörung des Betroffenen als zentraler Verfahrensgarantie und Kernstück der Amtsermittlung gerecht. Die aus einer Pandemie folgenden allgemeinen Infektions- und – daraus resultierend – Erkrankungsrisiken führen zu einer lediglich abstrakten Gesundheitsgefahr für den Betroffenen. Dieser wird regelmäßig durch Einhaltung der vom Robert-Koch-Institut empfohlenen Hygienemaßnahmen – etwa Einhaltung des Abstandsgebots, Tragen von Schutzmasken und entsprechender räumlicher Gestaltung der Anhörungssituation – ausreichend begegnet werden können. (…)

Nur wenn – was im Beschluss darzulegen ist – diese Möglichkeiten nicht greifen, kann das Gericht nach §278 Abs.4 iVm §34 Abs.2 FamFG von der persönlichen Anhörung absehen, wobei dies nur auf der Grundlage eines ärztlichen Gutachtens zu den durch die persönliche Anhörung zu besorgenden erheblichen Nachteilen für die Gesundheit des Betroffenen erfolgen darf. 

Der für die Gesundheit der anhörenden Richter und sonstiger an der Anhörung zu beteiligender Personen zu gewährleistende Schutz vor Infektionen führt zu keinem hiervon abweichenden Ergebnis. (…)“

In einer weiteren Entscheidung (Beschl. v. 4.11.2020, Az. XII ZB 220/2; im Ergebnis ebenso Beschl. v. 18.11.2020, Az. XII ZB 179/20) lautet der Leitsatz:


a) Das Gericht darf sich bei seiner Entscheidung über die Bestellung eines Betreuers nicht allein auf eine Befragung des Betroffenen stützen, die nicht mit der Gewinnung eines unmittelbaren persönlichen Eindrucks im Sinne einer unmittelbaren visuellen und akustischen Wahrnehmung des Betroffenen einhergeht; eine lediglich fernmündlich geführte Unterhaltung mit dem Betroffenen genügt daher den Anforderungen an eine „persönliche Anhörung“ im Sinne von § 278 Abs. 1 FamFG nicht.

b) Auch in den Zeiten der Corona-Pandemie kann in einem Betreuungsverfahren nur unter den engen Voraussetzungen des § 278 Abs. 4 i.V.m. § 34 Abs. 2 FamFG ausnahmsweise von einer persönlichen Anhörung des Betroffenen nach Maßgabe von § 278 Abs. 1 FamFG abgesehen werden (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 14. Oktober 2020 XII ZB 235/20 zur Veröffentlichung bestimmt).“