Vergütungsrecht

§ 12 VBVG: Abrechnungs- oder Betreuungsmonate Oder: Mathematik für Fortgeschrittene

13.09.2019

Das neue Vergütungsrecht ist im Grunde nicht sehr kompliziert. Aber wie bei nahezu jeder gesetzlichen Neuregelung gibt es auch hier einige Unklarheiten. Eine davon betrifft die in § 12 VBVG enthaltene Übergangsregelung, dort heißt es: 

"Auf Vergütungsansprüche von Betreuern, Vormündern, Pflegern und Verfahrenspflegern für Leistungen, die vor dem 27. Juli 2019 erbracht wurden, ist dieses Gesetz bis zum Ende des angefangenen Betreuungsmonats in seiner bis dahin geltenden Fassung anzuwenden.“

Fraglich ist, ob wirklich Betreuungsmonate oder nicht in Wirklichkeit Abrechnungsmonate gemeint waren. Der Gesetzgeber wollte einen einfach zu handhabenden Übergang schaffen und durch diese Regelung vermeiden, dass die Vergütung für jede Betreuung für einen Monat geteilt (für den Teil des Monats vor dem Inkrafttreten und den nach dem Inkrafttreten der Neuregelung) berechnet werden muss.

In den meisten Fällen wird dieses Ziel sicherlich problemlos erreicht werden können, weil Betreuungs- und Abrechnungsmonate identisch sind.

Hierzu ein einfaches Beispiel:

Eine Betreuung wurde an einem 1. Juni eingerichtet und der damals bestellte Betreuer ist seitdem durchgehend im Amt. Das Abrechnungsquartal, in das das Inkrafttreten der Neuregelung fällt, läuft vom 2. Juni bis zum 1. September 2019, die einzelnen Abrechnungsmonate wären 2. Juni bis 1. Juli, 2. Juli bis 1. August sowie 2. August bis 1. September. Nur der letzte dieser drei Monate liegt vollständig in der Zeit ab dem Inkrafttreten der Neuregelung und kann deshalb nach „neuem Recht“ abgerechnet werden, die beiden vorangegangenen Monate werden noch vollständig nach den bisherigen Regelungen vergütet.

Die Betreuungsmonate können sich aber von den Abrechnungsmonaten unterscheiden, da nach der Rechtsprechung des BGH nach einem Betreuerwechsel für den neuen Betreuer ein neuer 3-Monats-Zeitraum i.S.d. § 9 VBVG beginnt (BGH, Beschl. v. 25.5.2011, Az.: XII ZB 440/10). 

Nun heißt es in der Gesetzesbegründung aber ausdrücklich: „Die Übergangsregelung nimmt keinen Einfluss aus die bisherigen Abrechnungszeiträume. … Damit im Übergangszeitraum Vergütungsanträge nicht tageweise quotal berechnet werden müssen, wird klargestellt, dass das Gesetz in seiner alten Fassung bis zum Ablauf des jeweils angefangenen Betreuungsmonats anzuwenden ist.“ (Bundestagsdrucksache 19/8694 S. 31). Dieses Ziel könnte aber in manchen Fällen nicht erreicht werden, wenn man tatsächlich auf Betreuungs- und nicht auf Abrechnungsmonate abstellen würde. Man wird deshalb davon ausgehen müssen, dass es sich bei der Verwendung des Wortes Betreuungsmonate in diesem Zusammenhang um ein Redaktionsversehen handelte oder dass dem Verfasser der Unterschied zwischen Betreuungs- und Abrechnungsmonaten nicht bekannt war. Es wird deshalb überwiegend angenommen, dass Abrechnungsmonate gemeint sind.

Um die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten zu verdeutlich soll die Problematik anhand zweier Beispiele verdeutlicht werden:

Beispiel 1: Betreuungs- und Abrechnungsmonate sind nicht identisch, der Betreuungsmonat, in den das Inkrafttreten der Neuregelung fällt, endet vor dem Abrechnungsmonat, in den der Wechsel fällt

Erstmalige Einrichtung der Betreuung am 6.9.2015, die für die Vergütung maßgeblichen Betreuungsmonate laufen daher vom 7. eines Monats bis zum 6. des Folgemonats.

Am 15.5.2018 fand ein Betreuerwechsel statt. Die Abrechnungsmonate des neuen Betreuers laufen daher immer vom 16. eines Monats bis zum 15. des Folgemonats (gem. BGH BtPrax 2011, 218 führt ein Betreuerwechsel zum Beginn eines neuen Abrechnungsquartals – auch, wenn dies zu komplizierteren Abrechnungsvorgängen führen kann, weil Abrechnungs- und Betreuungsmonate dann nicht mehr deckungsgleich sind), das Abrechnungsquartal, in dem die Neuregelung in Kraft getreten ist, lief vom 16. Mai bis zum 15. August.

Der Klient ist mittellos und lebt in der eigenen Häuslichkeit. Derr Betreuer kann aufgrund einer nutzbaren Hochschulausbildung den höchsten Stundensatz beanspruchen bzw. auf Grundlage der Vergütungstabelle C abrechnen.

 a) Wenn man in diesem Fall in § 12 VBVG entgegen dem Wortlaut des Gesetzes auf die Abrechnungsmonate abstellt, kann die Vergütung nur auf Grundlage des „alten Rechts“ erfolgen – keiner der drei Abrechnungsmonate liegt vollständig im zeitlichen Geltungsbereich der Neuregelung.

Der Betreuer könnte dann für dieses Abrechnungsquartal

 3 x 3,5 Std. zu je 44,- = 462,- €

beanspruchen.

b) Folgt man dem Gesetzeswortlaut und stellt auf die Betreuungsmonate ab, verhält es sich wie folgt:

Das Abrechnungsquartal läuft auch hier vom 16. Mai bis zum 15. August 2019.

Zunächst müsste noch ein Teil des Betreuungsmonats 2. Mai bis 1. Juni 2019 in Ansatz gebracht werden. Abgerechnet werden kann deshalb:

16.5. bis 6.6.2019, also 22/31 v. 3,5 Std, gem. § 5 Abs. 4 VBVG a.F. gerundet: 2,5 Std, je 44,- € ergibt 110,- €.

 Die Betreuungsmonate 7.6. bis 6.7. und 7.7. bis 6.8. sind gem. § 12 VBVG noch vollständig nach „altem Recht“ abzurechnen, also ergibt sich der folgende Anspruch:

 2 x 3,5 x 44,- € = 308,- €.

Dann verbleibt für den Rest des Abrechnungsquartals noch der Anteil des vollständig nach der Neuregelung zu beurteilenden Betreuungsmonats 7.8. bis 15.8.2019.

Der Anspruch richtet sich nun nach den Vergütungstabellen, hier ist das Feld C5.2.1 maßgeblich, die Monatspauschale beträgt 171,- €. Daraus ergibt sich:

 9/30 x 171,- € = 51,30 €

Der Gesamtanspruch für das Abrechnungsquartal beträgt demnach

 110,- + 308,- + 51,30 € = 469,30 €.

In dieser Fallkonstellation ist es also für den Betreuer etwas günstiger, auf die Betreuungsmonate abzustellen.

  

Beispiel 2: Betreuungs- und Abrechnungsmonate sind nicht identisch, der Betreuungsmonat, in den das Inkrafttreten der Neuregelung fällt, endet aber nach dem Abrechnungsmonat, in den der Wechsel fällt

Erstmalige Einrichtung der Betreuung am 20.9.2015, die für die Vergütung maßgeblichen Betreuungsmonate laufen daher vom 21. eines Monats bis zum 20. des Folgemonats.

Am 10.6.2018 fand ein Betreuerwechsel statt. Die Abrechnungsmonate des neuen Betreuers laufen daher immer vom 11. eines Monats bis zum 10. des Folgemonats (gem. BGH BtPrax 2011, 218 führt ein Betreuerwechsel zum Beginn eines neuen Abrechnungsquartals – auch, wenn dies zu komplizierteren Abrechnungsvorgängen führen kann, weil Abrechnungs- und Betreuungsmonate dann nicht mehr deckungsgleich sind), das Abrechnungsquartal, in dem die Neuregelung in Kraft getreten ist, lief vom 11. Juni bis zum 10. September.

Der Klient ist mittellos und lebt in der eigenen Häuslichkeit. Derr Betreuer kann aufgrund einer nutzbaren Hochschulausbildung den höchsten Stundensatz beanspruchen bzw. auf Grundlage der Vergütungstabelle C abrechnen.

a) Wenn man in diesem Fall in § 12 VBVG entgegen dem Wortlaut des Gesetzes auf die Abrechnungsmonate abstellt, ergibt sich Folgendes:

Die ersten beiden Abrechnungsmonate (11.6. – 10.7. und 11.7. – 10.8.) liegen noch nicht vollständig im Geltungsbereich der Neuregelung, können also vollständig nur nach der bisherigen Regelung abgerechnet werden. Daraus ergibt sich der folgende Anspruch:

2 x 3,5 x 44,- € = 308,- €.

Der dritte Abrechnungsmonat liegt vollständig im Geltungsbereich der Neuregelung, der Betreuer kann also eine Monatspauschale gem. Feld C5.2.1 der Vergütungstabelle C verlangen, also beträgt sein Anspruch 171,- €.

Der Gesamtanspruch für dieses Quartal beträgt daher

308,- + 171,- = 479,- €.

b) Wenn man auf die Betreuungsmonate abstellt, ergibt sich der Anspruch wie folgt:

Auch hier läuft das Abrechnungsquartal vom 11.6. bis zum 10.9.

Die Betreuungsmonate bis zum 20.8. liegen noch nicht vollständig im Geltungsbereich der Neuregelung und sind deshalb nach der bisherigen Regelung zu vergüten. Für die Zeit ab dem 21.8. kann eine Vergütung auf Grundlage des Feldes C5.2.1 der Vergütungstabelle C verlangt werden, weil der Betreuungsmonat vom 21.8. bis zum 20.9. vollständig im zeitlichen Geltungsbereich der Neuregelung liegt.

Die beiden ersten Abrechnungsmonate (11.6. – 10.7. und 11.7. – 10.8.) sind daher noch vollständig auf Grundlage der bisherigen Regelung zu vergüten, also

2 x 3,5 x 44,- € = 308,- €.

Der dritte Abrechnungsmonat muss aber unterteilt betrachtet werden.

Für die Zeit vom 11.8. bis zum 20.8. besteht ein Anspruch gem. der bisherigen Regelung, also

10/31 x 3,5 x 44,- € = 49,70 €

Für die Zeit vom 21.8. bis zum 10.9. besteht ein Anspruch auf Grundlage der Neuregelung, also

21/30 x 171,- € = 119,70 €

Der Gesamtanspruch beträgt also

308,- + 49,70 + 119,70 = 477,40.

In diesem Fall ist es also für den Betreuer etwas günstiger, auf die Abrechnungsmonate abzustellen.

Fazit

Wenn der Abrechnungsmonat, in dem die Gesetzesänderung in Kraft getreten ist, vor dem Betreuungsmonat, in dem die Gesetzesänderung in Kraft getreten ist, endet, ist es für Betreuer günstiger, wenn man die Übergangsregelung in § 12 VBVG so auslegt, dass auf Abrechnungsmonate abzustellen ist.

Wenn aber der Betreuungsmonat, in dem die Gesetzesänderung in Kraft getreten ist, vor dem Abrechnungsmonat, in dem die Gesetzesänderung in Kraft getreten ist, endet, ist es für Betreuer günstiger, wenn man die Übergangsregelung in § 12 VBVG so auslegt, dass auf Betreuungsmonate abzustellen ist.

Da beide Möglichkeiten in bestimmten Konstellationen Vor- und Nachteile haben können, können beide Varianten zu einem „gerechten Gesamtergebnis“ führen, wenn sie nur konsequent angewendet werden. Betreuer können nicht verlangen, dass immer von Fall zu Fall die für sie günstigere Variante angewendet wird. Umgekehrt darf ein Gericht nicht von Fall zu Fall unterschiedlich immer die Variante anwenden, die die Justizkasse am wenigsten belastet. 

Die Rechenbeispiele zeigen aber, dass das Abstellen auf Betreuungsmonate tatsächlich zu einem höheren Rechenaufwand führt. Das mag unerheblich sein, wenn von Betreuern für das Erstellen der Vergütungsanträge und von den Gerichten für die Bearbeitung eine Software verwendet wird, es gibt aber noch etliche Betreuer, die ihre Vergütungsanträge „von Hand“ (also ohne ein entsprechendes Programm) erstellen. Von daher spricht vieles für das Abstellen auf Abrechnungsmonate.

Man kann  aber kaum erwarten, dass zeitnah eine verbindliche Klärung durch die Rechtsprechung herbeigeführt wird. Diese Problematik kann maximal einmal in jeder Betreuung vorkommen. Und vermutlich hat jeder Betreuer nur ein oder zwei Fälle, in denen das überhaupt relevant wird. Es ist unwahrscheinlich, dass jemand sich tatsächlich die Mühe macht, wegen dieser Fragestellung bis zum BGH zu gehen. Wegen des eher geringen finanziellen Unterschieds und der damit verbundenen zeitlichen Belastung und des Kostenrisikos wäre es jedenfalls sinnvoller, sich an die Vorgabe des betreffenden Rechtspflegers zu halten. Einmal "gebrochen" abzurechnen ist letztlich einfacher, als wegen einer nur einmal relevanten Frage durch die Instanzen zu gehen. Und selbst, falls jemand das interessehalber bis zum BGH bringen sollte, wäre das Ergebnis erst so spät da, dass es den meisten Betreuern kaum noch helfen dürfte weil die betreffenden Vergütungsanträge schon vorher gestellt werden müssen.

Pragmatisch betrachtet sollten Betreuer sich also nach den Vorgaben des Rechtspflegers richten und dann aus den oben genannten Gründen darauf achten, dass die vom Rechtspfleger vorgegebene Variante konsequent angewendet wird, damit sich die daraus für Betreuer ergebenden Vor- und Nachteile ausgleichen.