BGH-Urteil

Einrichtung einer Betreuung trotz Möglichkeit der Vorsorgevollmacht

Der BGH stellt fest, dass eine Betreuung nur dann nicht notwendig ist, wenn eine konkrete Alternative zur Verfügung steht – die rein theoretisch bestehende Möglichkeit der Bevollmächtigung einer Vertrauensperson reicht dafür nicht aus.
22.10.2015

    Der Gesetzgeber möchte Betreuungen – aus Kostengründen ­– möglichst vermeiden. Deshalb wird die bestehende Alternative – die Errichtung einer Vorsorgevollmacht – beworben. In § 1896 Abs. 2 BGB heißt es „Die Betreuung ist nicht erforderlich, soweit die Angelegenheiten des Volljährigen durch einen Bevollmächtigten … ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können“ und die Betreuungsbehörde soll ausdrücklich auf die Möglichkeit, eine Betreuung durch eine Bevollmächtigung zu vermeiden, hinweisen. § 4 Abs. 1, 2 BtBG gibt dazu vor: „Die Behörde informiert und berät über allgemeine betreuungsrechtliche Fragen, insbesondere über eine Vorsorgevollmacht und über andere Hilfen, bei denen kein Betreuer bestellt wird. Wenn im Einzelfall Anhaltspunkte für einen Betreuungsbedarf nach § 1896 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestehen, soll die Behörde der betroffenen Person ein Beratungsangebot unterbreiten. Diese Beratung umfasst auch die Pflicht, andere Hilfen, bei denen kein Betreuer bestellt wird, zu vermitteln.“

    Diese Vorgaben werden zum Teil missverstanden – in dem vom BGH entschiedenen Fall  (Beschluss v. 23.9.2015, Az. XII ZB 225/15) hatten das Betreuungsgericht und als Beschwerdeinstanz das Landgericht die Einrichtung einer (an sich nötigen) Betreuung alleine wegen der theoretisch bestehenden Möglichkeit, eine Vollmacht zu erteilen, abgelehnt. Das Landgericht hatte in seinem Beschluss u.a. ausgeführt, dass der Betroffene unbeschränkt geschäftsfähig sei und deshalb einer Person seines Vertrauens eine Vollmacht erteilen könne. Dass eine geeignete Vertrauensperson nicht zur Verfügung stehe, habe er nicht hinreichend dargetan.

    Der BGH stellt dazu fest, dass eine Betreuung nur dann nicht notwendig ist, wenn eine konkrete Alternative zur Verfügung steht – die rein theoretisch bestehende Möglichkeit der Bevollmächtigung einer Vertrauensperson reicht dafür aber nicht aus. Es gibt in diesem Zusammenhang auch keine Beweislast des Betroffenen, nach der er belegen müsste, dass keine Vertrauensperson vorhanden sei. Der BGH führt u.a. aus: „Daher ist das Vorliegen der Geschäftsfähigkeit des Betroffenen und die damit einhergehende rechtliche Möglichkeit der Bevollmächtigung nicht ausreichend. Vielmehr muss es auch tatsächlich mindestens eine Person geben, welcher der Betroffene das für eine Vollmachterteilung erforderliche Vertrauen entgegen bringt und die zur Übernahme der anfallenden Aufgaben als Bevollmächtigter bereit und in der Lage ist.“  Zudem stellt der BGH fest, dass der betroffene keine Vortragslast hat - er muss nicht belegen, dass es keine Vertrauensperson gibt, vielmehr ist es gem. § 26 FamFG Sache des Gerichts, die für die  Entscheidung erheblichen Tatsachen zu ermitteln.

    Unseres Erachtens handelt es sich um eine positiv zu bewertende Entscheidung. Wenn man es ernst nimmt, dass die Möglichkeit, eine Vorsorgevollmacht zu erteilen, ein Ausfluss des Selbstbestimmungsrechts des Bürgers ist, muss man es auch akzeptieren, wenn jemand sich dafür entscheidet, keine Vorsorgevollmacht zu erteilen - sei es, weil er nicht genügend Vertrauen in einen möglichen Bevollmächtigten hat oder weil er einen dafür in Frage kommenden Angehörigen nicht damit belasten mag. Es wäre eine merkwürdige Interpretation des Selbstbestimmungsrechts, wenn man daraus eine Verpflichtung zur Erteilung einer Vollmacht ableiten würde.

    Wenn man dem Wortlaut der Entscheidung folgt, kommt es im Übrigen nicht darauf an, ob eine objektiv betrachtet vertrauenswürdige Person als Bevollmächtigter in Frage käme, sondern es ist auf die subjektive Bewertung des Betroffenen abzustellen - er selbst und nicht das Gericht muss ein ausreichendes Vertrauen in die in Frage kommende Person haben.