„Hilfebedürftigkeit ist keine Störung, sie gehört zum Menschsein“ - SZ-Journalist Heribert Prantl eröffnet die BdB-Jahrestagung 2015

23.04.2015
    • Portraitbild Prof Dr. Heribert Prantl

      Prof Dr. Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung, erhielt auf der BdB-Jahrestagung 2015 für seine Eröffnungsrede zum deutschen Betreuungswesen und -recht stehende Ovationen

    „Ich bin der festen Überzeugung, dass sich darin, wie unsere Gesellschaft mit den alten und sehr alten Menschen umgeht, die Zukunft unserer Gesellschaft entscheidet. Ich glaube nämlich, dass unsere Gesellschaft etwas sehr Wichtiges lernen muss – und dass ganz besonders Berufsbetreuer zu den Lehrern gehören“. Mit einem Plädoyer für die professionelle Unterstützung hilfebedürftiger Menschen eröffnete der renommierte Journalist Prof. Dr. Heribert Prantl die Jahrestagung des BdB, die bis um 25. April in Goslar stattfindet. Prantl leitet bei der Süddeutschen Zeitung das Ressort Innenpolitik; er ist seit 2011 Mitglied der Chefredaktion.

    Die Gesellschaft, so Prantl, müsse lernen, „dass der alte und der demente Mensch ein Mensch ist, auch wenn er nicht mehr vernünftig ist. Er ist ein Mensch mit Demenz und mit Leib und Seele, Sinnlichkeit, Kreativität und Emotion. Hilfebedürftigkeit ist keine Störung, die behoben werden muss, sondern gehört zum Mensch-Sein.“

    Das Betreuungsrecht von 1992 bezeichnete Prantl als Leuchtturmgesetz, das die Entmündigung abgeschafft habe und es den Richtern aufgegeben habe, für spezifische Problemlagen individuelle Betreuungslösungen zu finden. „Der Leuchtturm sollte den Weg nicht zum Vorfriedhof, sondern zu einem würdigen Leben im Alter weisen“, sagte Prantl. Das Gesetz habe zwar das richtige Signal zur richtigen Zeit gesetzt, doch die Zeit habe es nicht begriffen. Prantl kritisierte: „Das  Betreuungsgesetz war ein Gesetz, das rechtzeitig die Probleme erkannte, die auf die Gesellschaft zukommen. Aber: Es wurde und wird totgespart.“

    Betreuung muss Profession werden und berufliche Betreuung braucht angemessene Rahmenbedingungen, damit Qualität für die Klientinnen und Klienten sichergestellt werden kann. Diese Forderungen des BdB stehen im Mittelpunkt der Jahrestagung 2015. Die Delegiertenversammlung stimmt über einen Leitantrag mit dem Titel „Qualitätsvolle Betreuungspraxis und Menschenwürdegarantie“ ab.

    Hintergrund: Der BdB setzt sich zielgerichtet für die Schaffung einer Profession Betreuung mit dem Ziel, eine qualitätsvolle Betreuungspraxis zu sichern und Menschen mit Behinderungen in der  Ausübung ihrer Rechts- und Handlungsfähigkeit zu unterstützen. Der BdB fordert in seinem Positionspapier: „Die rechtliche Betreuung muss zu einem System der unterstützten Entscheidungsfindung im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention weiterentwickelt werden. Anderenfalls droht jenen, die den hohen Erwartungen an die eigene Mitwirkung und Verantwortung nicht gerecht werden können, Exklusion und Entmündigung.“ Diesbezüglich hatte ein UN-Fachausschuss im Rahmen seiner Staatenprüfung zum Betreuungsrecht Deutschland gerügt und eine Professionalisierung der Betreuung bis zum Jahr 2019 gefordert.

    Formal eröffnet wurde die Jahrestagung 2015 von Goslars Bürgermeister Axel Siebe. Weitere Eröffnungsstatements sprachen Ministerialdirigent Dr. Johannes Christian Wichard (Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz) und Ministerialdirigent Rainer Petzold (Niedersächsisches Justizministerium) sowie der Vorsitzende des Betreuungsgerichtstags Peter Winterstein und der scheidende Vorsitzende Klaus Förter-Vondey, der sich nach 14-jähriger Amtszeit nicht mehr zur Wahl stellt.