„Rechtliche Betreuung ist kein Sparschwein!“

BdB kritisiert Vorhaben von NRW, dienstunfähige und pensionierte Beamt*innen als Betreuer*innen einzusetzen

Düsseldorf, den 23. Dezember 2021 – Nordrhein-Westfalen plant offenbar den Einsatz von pensionierten und dienstunfähigen Beamt*innen als Behördenbetreuer*innen, um dem steigenden Bedarf an rechtlicher Betreuung zu begegnen. Dies geht aus dem Entwurf des NRW-Ausführungsgesetzes zum Betreuungsrecht hervor. Der Bundesverband der Berufsbetreuer/innen (BdB) wurde um eine Stellungnahme gebeten und hatte Gelegenheit, den Entwurf zu lesen und zu bewerten.

Der BdB kritisiert die Pläne scharf. Landessprecherin Hülya Özkan: „Wir fragen uns, ob von Dienstunfähigkeit bedrohte Beamt*innen genügend Eigenmotivation mitbringen, diese hoch verantwortungsvolle und auf vielerlei Hinsicht herausfordernde Aufgabe anzunehmen und zu bewältigen. Rechtliche Betreuung erfordert umfangreiche fachliche und methodische Kompetenzen, die zur Berufsausübung nötig sind.“

Es bringe keiner Seite einen Vorteil, wenn Beamt*innen möglicherweise „verschlissen“ werden und im gleichen Zuge Klient*innen ihr Recht auf Unterstützung und Schutz ihrer rechtlichen Handlungsfähigkeit beeinträchtigt werde, so die BdB-Landessprecherin: „Mit diesem Vorgehen entsteht der Eindruck, dass dienstunfähige Menschen für eine Betreuung ‚immer noch gut genug‘ sind, was dem Qualitätsgedanken in der Betreuung abträglich ist und der überholten Vorstellung Vorschub leistet, dass ‚Betreuung jeder kann‘.“

Hinzu kommt, dass der Grund für Dienstunfähigkeit oft psychische Erkrankungen sind, die es Beamt*innen nicht mehr erlauben, ihrer bisherigen Arbeit nachzugehen. „Doch ist psychische Stabilität eine zentrale Voraussetzung für die Arbeit als rechtliche*r Betreuer*in. Nur so können wir Klient*innen adäquat vertreten“, sagt Hülya Özkan. Als Motiv für den Einsatz von Behördenbetreuer*innen identifiziert der BdB das Ziel, die Bestellung von Berufsbetreuer*innen zu vermeiden. Im Textentwurf heißt es wörtlich: „Durch die Möglichkeit der Bestellung von Landespersonal entstehen im Gegensatz zur kostenträchtigen Berufsbetreuerbestellung keine zusätzlichen Aufwendungen, sondern es ergeben sich sogar Einsparpotenziale für den Landeshaushalt.“

Hülya Özkan: „Grundsätzlich sollte der Einsatz von Behördenbetreuer*innen zurückhaltend betrieben werden, da Betreuung staatsfern und persönlich sein soll. Rechtliche Betreuung ist kein Sparschwein. Wir schützen die Menschenwürde unserer Klient*innen in Situationen großer Verletzlichkeit, organisieren, planen, koordinieren und kontrollieren komplexe Unterstützungsprozesse. Das ist anspruchsvoll und gibt es weder nebenbei noch umsonst.“

Betreuer*innen müssen in Situationen großer Not sensible Entscheidungen über Eingriffe in Grundrechte treffen. Aufgrund der Bedeutung der rechtlichen Betreuung für die Klient*innen und der vielfältigen Anforderungen und Erwartungen braucht es umfangreiche Qualifikationen, fachlich, methodisch, persönlich. Diese Mindestqualifikation wird künftig mit Hilfe einer erfolgreichen Teilnahme an einem Sachkundekurs sichergestellt. Die Rechtsverordnung zum Registrierungs- und Zulassungsverfahren wird aktuell vom Bundesministerium der Justiz (BMJ) erarbeitet.

Aus Sicht des BdB wäre eine nachhaltige Förderung von Berufsbetreuung sowie von Betreuungsvereinen notwendig und angebracht, so Özkan weiter: „Eine verlässliche Finanzierung und Planung für die Betreuungsvereine ist zu gestalten. Der vorliegende Gesetzentwurf reicht hierfür nicht aus. Wir erwarten, dass die Behörden personell und fachlich in der Lage sind, ihre gesetzlichen Pflichten adäquat zu erfüllen.“

Ein weiterer Kritikpunkt am Gesetzwurf: Das Landesamt für Finanzen (LaFin) soll als überörtliche Betreuungsbehörde installiert werden. Doch lässt der Entwurf die Frage offen, wer die persönliche und fachliche Eignung der Beamt*innen überprüft und ob diese einen Sachkundenachweis für die Tätigkeit als Betreuer*innen erbringen müssen. Hülya Özkan: „Behördenbetreuer*innen waren in den letzten Jahren in erster Linie Ausfallbürgen; sie wurden nur dann eingesetzt, wenn kein*e geeignete*r ehrenamtliche*r oder Berufsbetreuer*in gefunden wurde. Ich halte es zudem für problematisch, wenn die Beamt*innen in den Konflikt mit dem eigenen „Dienstherrn“ kommen, weil sie ihre Klient*innen vertreten.“


Hintergrund

Am 01.01.2023 tritt das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts in Kraft, was substanzielle Veränderungen nach sich zieht. Das neu geschaffene Betreuungsorganisationsgesetz (BtOG) ist in der Folge zum 1. Januar 2023 auf Landesebene umzusetzen, was die Anpassung des bisherigen Landesbetreuungsgesetzes zur Folge hat.
Nordrhein-Westfalen hat erstmals 1992 ein Gesetz zur Ausführung des Betreuungsgesetzes erlassen (Landesbetreuungsgesetz – LBtG), zuletzt 2016 geändert. Das Ausführungsgesetz regelt unter anderem die Zuständigkeit der Betreuungsbehörden auf örtlicher Ebene, die Aufgaben der überörtlichen Betreuungsbehörden, die Verantwortlichkeiten für das Verfahren für die Anerkennung der Betreuungsvereine sowie die Grundlage ihrer Förderung. Darüber hinaus werden Regelungen zur Förderung der Zusammenarbeit in Betreuungsangelegenheiten auf örtlicher Ebene geschaffen.


>> Die komplette Stellungnahme des BdB zum Gesetzentwurf

Pressekontakt:
nic communication & consulting | Bettina Melzer
Tel.: 030 – 279 879 50 | mobil: 0163 – 575 1343 | bm@niccc.de | www.niccc.de


Angebot an Journalist*innen: Sie wollen einmal einen Berufsbetreuer oder eine Berufsbetreuerin in Ihrer Nähe begleiten? Sie brauchen ein Beispiel von Klient*innen, die von Berufsbetreuung profitieren? Möchten Sie eine Expertin oder einen Experten aus Ihrer Region sprechen? Oder benötigen Sie mehr Hintergrundinformationen? Rufen Sie uns einfach an. Oder schreiben Sie uns. Wir helfen gern weiter!


Über den BdB:
Der Bundesverband der Berufsbetreuer und Berufsbetreuerinnen (BdB e.V.) ist mit mehr als 7.500 Mitgliedern die größte Interessenvertretung des Berufsstandes. Er ist die kollegiale Heimat seiner Mitglieder und macht Politik für ihre Interessen. Er stärkt seine Mitglieder darin, Menschen mit Betreuungsbedarf professionell zu unterstützen, ein Leben nach eigenen Wünschen und Vorstellungen zu führen – selbstbestimmt und geschützt.
Der BdB wurde 1994 gegründet – zwei Jahre, nachdem mit dem Betreuungsgesetz Konzepte wie „Entmündigung“ und „Vormundschaft“ für Erwachsene abgelöst wurden. Bereits damals leitete ihn der Gedanke, Menschen mit Betreuungsbedarf in Deutschland professionell zu unterstützen, so dass sie ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen können. Mit seiner fachlichen Expertise und viel Idealismus setzte sich der Verband bereits frühzeitig für mehr gesellschaftliche Teilhabe betreuter Personen ein, wie sie erst später gesetzlich verankert wurde.
Handeln und Entscheidungen der BdB-Mitglieder basieren auf demselben humanistischen Menschenbild, das auch der UN-Menschenrechtskonvention von 1948 und der UNBehindertenrechtskonvention von 2006 zugrunde liegt.